Pferde schreien nicht um Hilfe

In der freien Laufbahn ziehen Pferde gemeinsam als Gruppe umher und überleben besser in Form einer Herde. Als Beutetiere werden sie von Raubtieren angegriffen und rennen deshalb instinktiv vor potenziellen Bedrohungen davon. Es ist ein natürlicher Prozess, dass schwächere und langsamere Tiere an den Rand der Gruppe geraten, zurückfallen und weniger Überlebenschancen haben. Anders ausgedrückt: Pferde haben gelernt, Schmerzen zu ignorieren, um mit dem Rest der Herde mithalten zu können. Wir Menschen müssen uns daran erinnern, dass sich Pferde in ihrer Evolution so entwickelt haben, dass sie Schmerzen hervorragend maskieren können. Diese stoischen Tiere haben die Fähigkeit gemeistert, ihre Schwachstellen zu verbergen, um zu überleben.

Pferde sind eine magische Kombination aus Kraft, Persönlichkeit und Intuition. Kein Wunder, dass wir von ihrer Art so fasziniert sind. Es fällt ihnen leicht unsere Energie zu spüren, sie nehmen unsere Emotionen wahr und erkennen sogar unsere unausgesprochenen Absichten. Wir müssen vollkommen präsent sein, unsere Dramen vor der Tür lassen und tief durchatmen, bevor wir mit ihnen interagieren. Nur so kann eine respektvolle und befriedigende Beziehung zu einem Pferd aufgebaut werden. Vielleicht sollten mehr Pferdebegeisterte mit einer täglichen Meditationspraxis beginnen!

Uns hingegen fällt es viel schwerer, das Wohlbefinden unseres Pferdes zu deuten. Wir setzen unseren Fokus gewöhnlich auf das gesprochene Wort, aber Pferde verwenden subtilere Formen der Kommunikation. Sie geben uns die Möglichkeit zu lernen, mit allen Sinnen zu beobachten und zuzuhören. Wenn wir die Bedürfnisse und Schmerzen unserer Pferde in frühen Stadien nicht erkennen, sehen diese sich gezwungen, ihr Unbehagen deutlicher in Form von Taten zu kommunizieren. Sie legen ihre Ohren an, wenn wir uns ihnen nähern, sie versuchen uns zu beissen, wenn wir bestimmte Körperteile berühren, oder sie versuchen gar uns zu treten, wenn wir uns zu schnell und zu gedankenlos der falschen Stellen annähern. Pferde, die diese Handlungen zeigen, werden oft als gemein, bösartig, mürrisch, respektlos oder rebellisch bezeichnet. Ich hörte Mark Rashid in einem Podcast sagen, dass Pferde nicht unterscheiden können, wie sie sich fühlen und wie sie sich verhalten. Sie reagieren einfach und versuchen nicht absichtlich, uns etwas anzutun. Wir neigen dazu, unseren Pferden menschliche Motivation und Emotionen zuzuschreiben, aber die Welt der Pferde ist viel einfacher. Pferde gehen den Weg des geringsten Widerstandes – sie versuchen Energie zu sparen und suchen immer Ruhe und Geborgenheit, um sich sicher zu fühlen.

Wir müssen ein tieferes Verständnis anstreben und dürfen ein Pferd nicht nur durch einen vermenschlichten Filter betrachten. Ein Pferd, das kaum eine gerade Linie gehen kann, Schwierigkeiten hat, die Hinterbeine zu platzieren, den Kopf schräg hält und sich weigert, schneller als in einen langsamen Schritttempo zu gehen, ist möglicherweise nicht nur faul oder stur! Es hat vermutlich starke Schmerzen. Pferde haben wie wir Menschen sehr unterschiedliche Schmerztoleranz und einige sind empfindlicher als andere. Obwohl sie nicht laut um Hilfe schreien, zeigen Pferde subtile Anzeichen von Schmerz. Es liegt in unserer Verantwortung zu lernen, frühe Anzeichen möglicher Beschwerden zu erkennen, damit wir aufhören können, noch mehr Schmerzen zu verursachen, und beginnen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um dem Pferd bei der Heilung zu helfen. Schmerz ist schlichtweg eine Empfindung, die uns dazu motiviert, den Körper vor körperlichen Schäden zu schützen. Pferde brauchen dazu unsere Hilfe.

Ich habe viele Kurse besucht, um zu lernen wie man auf die subtilen Anzeichen von Störungen achtet und ich habe meine Palpationsfähigkeiten über die letzten 20 Jahren durch die Arbeit am menschlichen Körper täglich trainiert und verfeinert. Ich nutze meine Beobachtungsgabe und meine Intuition, um die ursprüngliche Ursache eines Gesundheitsproblems zu finden und will mit meinen Behandlungen langanhaltende Wirkungen und Ergebnisse erzielen. Ich bevorzuge es mit meinen Händen zu sehen und mit meinem Herzen zu hören.

Es ist faszinierend, sich auf das äusserst empfindliche Nervensystem eines Pferdes einzustimmen und meine ruhige und konzentrierte Energie in die Behandlung mit einzubringen, damit die Pferde voll und ganz entspannen und heilen können. Ich liebe die Vorstellung, Reiter und Pferd mehr Bewusstsein zu vermitteln und ihnen beiden zu helfen, einander besser zu verstehen. Tiere sprechen tatsächlich, aber nur mit denjenigen, die wissen wie man zuhört.